Nicht nur das sich ausweitende Kriegsgeschehen steht im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Auch die Reaktionen der politischen Linken hierzulande, die heftig um ihre eigene Position zu diesem Konflikt ringt, werden kritisch beäugt. Ob Platzbesetzungen an Universitäten, Demonstrationen in Neukölln oder Äußerungen von Einzelpersonen: Im politischen Feuilleton ist viel über linke bis linksradikale Interventionen geschrieben worden. Was bislang jedoch weitgehend fehlt, sind wissenschaftliche empirische Untersuchungen über das tatsächliche Verhalten linksradikaler Milieus.
Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismusbegriff und einer methodischen Verortung innerhalb der Bewegungsforschung wird anhand des Fallbeispiels Göttingen herausgearbeitet, wie sich parallel zu bestehenden linksradikalen Strukturen eine monothematisch fokussierte pro-palästinensische Szene herausbildet. Diese Szene fordert die etablierten linksradikalen Akteure heraus und versucht offensiv, eigene Deutungsangebote in der Debatte zu platzieren. Das anschließende Wechselspiel zwischen etablierten postautonomen Akteuren und den neuen Herausforderern ist zumeist von gegenseitiger Abgrenzung geprägt. Berührungspunkte finden sich nur vereinzelt.
Gegenwärtig scheint sich somit eine Fragmentierung und partielle Neuformierung der radikalen Linken entlang der Antisemitismusdebatte zu vollziehen. Die Antisemitismusdebatte stellt eine aktualisierte Konfliktlinie dar, an der sich eine Spaltung der Bewegung vollzieht.