Welcher Antisemitismus? Der Gaza-Krieg in lokalen linken Zusammenhängen am Beispiel Göttingens

Kurzbeschreibung: 

Seit dem Angriff der radikalislamistischen Hamas und verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 wird in Deutschland intensiv und kontrovers diskutiert, auch über Reaktion der radikalen Linken. Vielfach herrscht Verwunderung – aber auch Empörung – darüber vor, dass es auch hier zu antisemitischen Äußerungen kommt. Die neue Studie der Bundesfachstelle Linke Militanz analysiert am Beispiel Göttingens, wie linksradikale Gruppierungen tatsächlich auf den Angriff auf Israel und den Gaza-Krieg reagieren. Die Studie greift sowohl gesellschaftliche als auch wissenschaftliche Debatten um den Antisemitismus(begriff) auf und diskutiert aus der Perspektive der Bewegungsforschung, inwieweit die sich hier entfaltenden Diskurse die jeweilige Gruppenidentität beeinflussen.

Nicht nur das sich ausweitende Kriegsgeschehen steht im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Auch die Reaktionen der politischen Linken hierzulande, die heftig um ihre eigene Position zu diesem Konflikt ringt, werden kritisch beäugt. Ob Platzbesetzungen an Universitäten, Demonstrationen in Neukölln oder Äußerungen von Einzelpersonen: Im politischen Feuilleton ist viel über linke bis linksradikale Interventionen geschrieben worden. Was bislang jedoch weitgehend fehlt, sind wissenschaftliche empirische Untersuchungen über das tatsächliche Verhalten linksradikaler Milieus.

Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismusbegriff und einer methodischen Verortung innerhalb der Bewegungsforschung wird anhand des Fallbeispiels Göttingen herausgearbeitet, wie sich parallel zu bestehenden linksradikalen Strukturen eine monothematisch fokussierte pro-palästinensische Szene herausbildet. Diese Szene fordert die etablierten linksradikalen Akteure heraus und versucht offensiv, eigene Deutungsangebote in der Debatte zu platzieren. Das anschließende Wechselspiel zwischen etablierten postautonomen Akteuren und den neuen Herausforderern ist zumeist von gegenseitiger Abgrenzung geprägt. Berührungspunkte finden sich nur vereinzelt.

Gegenwärtig scheint sich somit eine Fragmentierung und partielle Neuformierung der radikalen Linken entlang der Antisemitismusdebatte zu vollziehen. Die Antisemitismusdebatte stellt eine aktualisierte Konfliktlinie dar, an der sich eine Spaltung der Bewegung vollzieht.

Philipp Scharf

Philipp Scharf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Protest- und Bewegungsforschung sowie die politische Kulturforschung.

Gregor Kreuzer

Gregor Kreuzer ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
Umfang: 73 Seiten
Erscheinungsort und -jahr: Göttingen 2024

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